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Vereinsgeschichte 1894 bis 2019

Der Verein für Fraueninteressen e.V. blickt auf 125 Jahre Vereinsgeschichte zurück. Er wurde 1894 von Anita Augspurg als „Gesellschaft für geistige Interessen der Frau gegründet“ und entwickelte sich in den folgenden Jahren zur Keimzelle der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern.

Ziel des Vereins war die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern.

Schwerpunkte der Vereinsarbeit waren und sind der Kampf um gleiche Bildungschancen als Voraussetzung für die freie Berufswahl von Frauen sowie die Forderung nach gerechter Bezahlung von Frauenarbeit als Voraussetzung für materielle Selbstständigkeit.

Der Verein wollte Teil einer Bewegung sein. Er sah sich selbst als Teil der bürgerlichen Emanzipationsbewegung und orientierte sich ideengeschichtlich am Gleichheitsversprechen der Französischen Revolution und der Revolution von 1848 in Deutschland. Er war von Anfang an überkonfessionell, überparteilich und offen für Frauen unterschiedlicher Weltanschauung. So gehörten ihm neben liberalen auch sozialdemokratische Frauen an. Julia von Vollmar, Ehefrau des Vorsitzenden der Bayerischen Sozialdemokraten, und die spätere Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf sind prominente Beispiele dafür. Der Verein für Fraueninteressen begriff sich auch als Teil der „Münchner Moderne“. Er übte große Anziehungskraft auf Künstler und Künstlerinnen aus. Zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Schauspielerinnen und Schauspieler, Malerinnen und Maler sowie Vertreterinnen und Vertreter des modernen Kunsthandwerks wurden Mitglied oder besuchten die Veranstaltungen des Vereins.

Das soziale Engagement des Vereins wollte stets mehr sein als private Mildtätigkeit, sondern entstand aus der Bereitschaft, die gemeinsamen Interessen von Frauen durchzusetzen und aus der Solidarität der bürgerlichen Frauen mit ihren weniger privilegierten Geschlechtsgenossinnen. Soziale Ungleichheit wurde als ungerecht wahrgenommen und nicht als unveränderlich hingenommen. Die Vorstellung einer revolutionären Überwindung von Klassengegensätzen lehnte der Verein ebenso ab, wie die reaktionäre Anschauung, dass soziale Ungleichheit naturgegeben oder gottgewollt sei. Aus der sozialen Arbeit des Vereins und der Frauenbewegung insgesamt entwickelte sich sowohl die professionelle Sozialarbeit auf der einen, als auch moderne Formen des bürgerschaftlichen Engagements, der Freiwilligenarbeit, auf der anderen Seite.


1894 bis 1914

Der Verein kämpfte gegen die frauenfeindlichen Bestimmungen des Vereinsgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuches und setzte sich für das aktive und passive Wahlrecht für Frauen ein.

1896 schloss sich der Verein dem Bund Deutscher Frauenvereine an und zählte sich selbst zum fortschrittlichen und „modernen“ Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung. Sein Ziel war die „systematisch auf allen Gebieten durchgeführte und vollgültige Teilnahme der Frauen an unserem gesamten öffentlichen Leben“.[i] Mit der 1898 gegründeten Rechtsbelehrungs- und Rechtsschutzstelle für Frauen, der 1900 eingerichteten Centralstelle für Wohlfahrtseinrichtungen, der Abteilung für Soziale Arbeit (1906)sowie der Auskunftsstelle für Frauenberufe (1908) wurde der Verein in München bekannt und genoss hohes Ansehen in der Bevölkerung.

Der vom Verein im Oktober 1899 erstmals organisierte Allgemeine bayerische Frauentag gilt als Ausgangspunkt der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern. In den Folgejahren gründete der Verein Ortsgruppen in 35 bayerischen Städten und fasste sie später zum Hauptverband bayerischer Frauenvereine zusammen. Den Vorsitz übernahm Ika Freudenberg. Ihre Nachfolgerin in Verein und Verband, Luise Kiesselbach, gründete 1914 den Stadtbund Münchener Frauen-Vereine als Zusammenschluss aller Münchner Vereine, die sich zur organisierten Frauenbewegung zählten.


1914 bis 1918

Während des 1. Weltkriegs stellten Verein und Stadtbund ihre frauenpolitischen Ziele zurück und ließen sich für den Dienst an der „Heimatfront“ vereinnahmen. 1918 wurde das Gabrielenheim in Tutzing als Erholungsheim für Münchner Schulkinder gegründet.


1918 bis 1933

Nach dem Sturz der Monarchien in Bayern und im Deutschen Reich bekannte sich der Verein zu Republik und Demokratie. Er begrüßte die Erklärung des Frauenstimmrechts durch Kurt Eisner als Beginn einer neuen Zeit. Die erste weibliche Rednerin in einem bayerischen Parlament war Dr. Rosa Kempf, ein Vorstandsmitglied des Vereins für Fraueninteressen. Der Verein forderte seine Mitglieder zu parteipolitischem Engagement und zur Wahrnehmung des aktiven und passiven Wahlrechts auf, gleichzeitig erklärte er sich selbst für parteipolitisch neutral. Luise Kiesselbach war bis zu ihrem Tod im Jahr 1929 als Stadträtin für die linksliberale DDP aktiv. Die Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf, Vereinsmitglied seit 1908, gehörte von 1919 bis 1933 der SPD-Fraktion an. Zahlreiche Mitglieder waren beruflich oder ehrenamtlich in der städtischen Verwaltung engagiert und beteiligten sich am Aufbau sozialstaatlicher Strukturen. Sie versammelten sich vereinsintern im Referat für kommunale und soziale Fragen. Die Gründung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes München (1922) und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bayern (1924) ging auf die Initiative Luise Kiesselbachs und damit des Vereins für Fraueninteressen zurück.

Haupttätigkeitsfelder des Vereins auf sozialem Gebiet waren in den zwanziger Jahren die Kinderfürsorge und die Mittelstandshilfe. Zur Finanzierung der Arbeit betrieb der Verein seit 1928 Milchkioske im Münchner Stadtzentrum.


1933 bis 1945

1933 endete die Frauenbewegung in Deutschland. Ihre Ziele waren mit der nationalsozialistischen Ideologie unvereinbar. Die meisten Frauenvereine und -verbände lösten sich selbst auf, um einem Verbot oder der Gleichschaltung zuvorzukommen.

Der Verein für Fraueninteressen entschied sich für einen anderen Weg. Er kämpfte über Jahre um seine Existenz und gegen die Gleichschaltung. Er wählte zwar ein NSDAP­­­-Mitglied zur Vorsitzenden, beharrte aber in seiner Satzung auf weltanschaulicher Neutralität und auf Überkonfessionalität. Durch hinhaltenden Widerstand gelang es ihm, die unterschiedlichen NS-Behörden gegeneinander auszuspielen. Zeitweise waren bis zu acht NS-Behörden in München und Berlin mit dem Verein befasst. Der Verein wurde schließlich doch gezwungen, seine Einrichtungen an die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) abzugeben. Aufgelöst wurde er aber nicht. Die jüdischen und rassisch verfolgten Mitgliedsfrauen konnten nicht geschützt werden. Sie und ihre Familien wurden in die Emigration oder in den Selbstmord getrieben, andere wurden deportiert. Soweit wir wissen, kehrte kein überlebendes Vereinsmitglied dauerhaft nach München zurück. 1944/45 wurde die Geschäftsstelle des Vereins zerstört. Der Verein verlor sein Archiv und eine umfangreiche Bibliothek zur Frauenbewegung.


Nach 1945

Unmittelbar nach Kriegsende nahm der Verein seine frauenpolitische und soziale Arbeit wieder auf und setzt sie bis heute fort. Der Verein war maßgeblich an der Wiedergründung des Stadtbundes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Bayern beteiligt. Das Aktionsbündnis Parité in den Parlamenten ist die jüngste frauenpolitische Initiative des Vereins. Es wurde 2014 vom Verein gemeinsam mit dem Stadtbund Münchner Frauenverbände ins Leben gerufen.

Weitere Informationen zur Nachkriegsgeschichte sind in Bearbeitung.


[i] Ika Freudenberg auf der Generalversammlung des Vereins für Fraueninteressen am 25. Februar 1904  vgl. 10. Jahresbericht (1903), S. 10

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